Adventsbotschaft und Weltlage
Wenn wir am 1. Advent hören “Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel …”, dann steht dieses Bild des Friedens und der Demut im schärfsten Kontrast zur heutigen Realität:
- Russland greift mit steigender Aggressivität die Ukraine an.
- Die Sorgen vor einem Krieg zwischen China und Taiwan verdichten sich.
- Die Attacken Amerikas auf Venezuela nehmen zu.
- Viele Staaten rüsten massiv auf.
Unter diesem Eindruck stellt sich die unausweichliche Frage: Was sagt uns das Königtum Jesu im Angesicht der Notwendigkeit militärischer Verteidigung? Das Ideal des Friedenskönigs, der den Völkern Frieden gebietet (Sach 9,10), erscheint angesichts von Aggression und Angriffskriegen, Propaganda, Fake News und Desinformation wie eine Illusion.
I. Die Notwendigkeit der Abgrenzung: Schalom ist kein naiver Pazifismus
Der Kern des Missverständnisses liegt oft darin, dass "Friede" als passiver Zustand interpretiert wird. Biblischer Friede – Schalom – ist jedoch ein umfassender Zustand des Gottvertrauens, des Wohlergehens, der Gerechtigkeit, der Unversehrtheit und der richtigen Beziehungen - untereinander und eben auch und gerade zu Gott.
Der Friedenskönig gebietet nicht mit einem Befehl den Frieden; er ist der Maßstab, der uns zwingt, jede Gewaltanwendung als Versagen und letzte Notlösung zu sehen, die stets auf das Ziel der universellen Versöhnung ausgerichtet sein muss.
Der Friede Jesu ist ein Zustand der Gerechtigkeit: Der Friedenskönig Jesus ist zuerst ein Gerechter, wie Sacharja 9,9 betont. Ein Friede, der auf Unterdrückung, Unrecht oder der Verletzung von Souveränität basiert, ist kein Schalom.
Aktive Friedensarbeit: Jesus fordert nicht, die Augen vor Gewalt zu verschließen, sondern gegen die Ursachen von Gewalt anzugehen. Die Krönung Salomos stand für Pracht und materielle Macht. Dagegen steht die Krönung Jesu unter dem Zeichen der Gottesherrschaft: “Das Himmelreich ist nah herbeigekommen …” (etwa Mk 1,15) Und diese Inthronisation steht für die Priorität der Gerechtigkeit über die Herrschaft.
Für uns heute bedeutet das: Friedenskönigtum äußert sich im aktiven Bekennen unseres christlichen Glaubens und dann im Eintreten für die Schwachen, im Kampf gegen Korruption und im Aufbau internationaler Rechtsstrukturen. Die aktive Verteidigung der Schwachen oder der Unversehrtheit des Rechts auch mit Waffen kann in einer gefallenen Welt ein schmerzhafter Akt sein, der paradoxerweise dem Ziel des Friedens dient.
Angst ist kein guter Ratgeber: Schon beim Einzug in Jerusalem sahen die Pharisäer das Problem (Lk 19,39). Die Inszenierung Jesu als König gefährdete den fragilen, von Rom garantierten Frieden. Der göttliche Anspruch kollidierte mit der brutalen Realpolitik. Dieses Dilemma – das Ideal gegen die Realität – ist bis heute gültig. Aber es kann nicht sein, dass deswegen der Ungerechtigkeit und der Gewalt Tor und Tür geöffnet werden.
II. Die Spannung zwischen Ideal und Realität
Die EKD hat in einer bemerkenswerten Bewegung ihr Konzept vom tendenziell absoluten Pazifismus hin zu einem Konzept des "Gerechten Friedens" verändert. Damit wird keineswegs das frühere Verständnis eines 'gerechten Krieges' wiederbelebt. Es gibt allerdings eine Akzentverschiebung hin zu der Einsicht, dass Gerechtigkeit und Freiheit - auch die des Glaubens - unter Umständen auch mit Mitteln verteidigt werden müssen, die aus Glaubensgründen eigentlich abzulehnen sind.
Realistischer Gehorsam: Die EKD erkennt an, dass militärische Gewalt in einer „Welt in Unordnung“ (Titel der neuen Denkschrift) das äußerste Mittel sein kann, um Menschen und territoriale Integrität zu schützen. Dieser Realismus ist keine Abkehr von Jesus, sondern ein schmerzhaftes Dilemma angesichts der sündhaften Realität der Welt.
Friedenskönigtum als ethische Messlatte: Der Anspruch Jesu wird in diesem Kontext zur Messlatte. Er ist der unantastbare Idealzustand (Sach 9,10), den wir anstreben müssen. Jede militärische Handlung, jede Waffenlieferung, jede Aufrüstung muss sich daran messen lassen, ob sie letztlich dem Ziel des Friedens für die Völker dient und nicht der Eskalation oder der Machtprojektion. Der Friedenskönig ist somit nicht die Lösung in diesem Moment, sondern das Kriterium für unsere Entscheidungen.
III. Das Maultier als ethische Messlatte: Die Logik der Macht entlarven
Die eigentliche Kraft des Friedenskönigs liegt in seiner Absage an die Logik der weltlichen Macht. Jesus wählt das Maultier (Demut) und nicht das Schlachtross (Krieg). In einer Zeit, in der die Staaten wieder stark in Waffen investieren und auch die Evangelische Kirche die Notwendigkeit militärischer Verteidigungsfähigkeit anerkennt, wird der Friedenskönig zur ethischen Messlatte. Die Botschaft Jesu entbindet uns nicht von der Verantwortung für Schutz und Sicherheit, aber sie stellt das Handeln unter ein strenges Kriterium.
Priorität der Prävention: Wenn wir aufrüsten müssen, weil wir im Krieg die letzte Notlösung sehen, wie viel mehr müssen wir dann in Diplomatie, zivile Konfliktlösung und Entwicklungshilfe investieren! Es ist fatal, dass die westlichen Staaten aktuell ihre Entwicklungshilfen radikal kürzen. Der Friedenskönig fragt: Setzen wir unsere Hoffnungen zuerst auf Entwicklung - auch und gerade bei den benachteiligten Menschen -, auf Verhandlungen und Gerechtigkeit, oder zuerst auf Waffen und Ausbeutung und Gewinn?
Entlarvung der Aggression: Das Friedenskönigtum verurteilt entschieden jede Form der Aggression oder des Machtmissbrauchs, bei dem militärische Gewalt zur Verfolgung egoistischer nationaler oder wirtschaftlicher Interessen dient (etwa die Drohung mit einer Invasion, um sich Bodenschätze zu sichern). Ein Angriff auf andere Länder zur Machtabsicherung ist das genaue Gegenteil des Friedenskönigtums.
VI. Der Anspruch des Advents: Der radikale Aufruf zur Prioritätenverschiebung
Die Geburt des Friedenskönigs zu Weihnachten ist die Konsequenz des Einzugs an diesem 1. Advent. Die Botschaft ist:
Wahre Sicherheit und dauerhafter Schalom werden niemals durch militärische Überlegenheit oder das Festhalten an alter Machtlogik (dem "Königtum Salomos") erreicht.
Die Ankunft Jesu ist ein radikaler Auftrag zur Prioritätenverschiebung. Wir werden ständig herausgefordert, uns neu zu entscheiden:
- Wollen wir einen König, der uns gegen unsere Feinde beschützt?
- Oder wollen wir einen König, der uns auffordert, mit unseren Feinden den Weg zur Gerechtigkeit und zum Frieden zu suchen?
Der Advent ist somit keine Vertröstung auf bessere Zeiten, sondern eine Aufforderung, schon heute dort Schalom zu leben und zu fordern, wo wir ihn am dringendsten brauchen. Inmitten der Debatten über Aufrüstung ist die Erinnerung an den König auf dem Esel unsere wichtigste spirituelle Waffe.
Okay, wenn ich bei diesem Gedanken - Spiritualität, Bekenntnis, Theologie und vieles mehr - die EKD vor Augen habe, sehe ich schon das nächste Problem. Aber das will ich an dieser Stelle (noch) nicht weiter ausführen.







