Mittwoch, 24. Dezember 2025

Weihnachten: Die Tür zum Paradies wird wieder geöffnet

Von der Vertreibung zur Versöhnung: Warum der Sündenfall die wichtigste Weihnachtsgeschichte ist.

Für die Lesung an Heiligabend ist oft die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2 vorgesehen. Doch wer tiefer in die theologische Bedeutung eintauchen will, kommt an einem anderen Text nicht vorbei: Genesis 3, die Geschichte vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies.

Dieser Zusammenhang mag auf den ersten Blick ungewohnt erscheinen, doch er bildet die dramatische Klammer der christlichen Heilsgeschichte. Die Weihnachtsbotschaft kann nur verstanden werden, wenn wir wissen, was wir verloren haben – und warum wir Erlösung brauchen.

Das Bild des Neubeginns


Die Theologie des Gehorsams in der Kunst

Dieser tiefe theologische Zusammenhang wurde schon in der Kunst der Renaissance eindrücklich dargestellt. Eines der schönsten Beispiele ist die "Verkündigung" von Fra Angelico (Prado, Madrid).

Fra Angelico, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Vordergrund sehen wir den Erzengel Gabriel, der der jungen Frau Maria die Geburt ihres Kindes verkündet – den Beginn der Erlösung. Doch im linken Hintergrund, als würde sie gerade erst geschehen, ist die Szene der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden dargestellt.

Dieses Bild ist die perfekte theologische Kurzfassung: Die Ursache des menschlichen Leidens (die Vertreibung) und der Beginn ihrer Aufhebung (die Menschwerdung Christi) sind in einem einzigen Moment vereint.

Die Theologie des Gehorsams – Von Irenäus bis Luther

  • Bereits der frühe Kirchenvater Irenäus von Lyon (2. Jh. n. Chr.) fasste diese Botschaft zusammen:

"Wie nämlich Eva, noch Jungfrau und unverdorben, durch ihren Ungehorsam die Ursache des Todes [...] wurde, so ist Maria, die Jungfrau, durch ihren Gehorsam die Ursache des Heils [...] geworden."

Wir dürfen uns hier nicht am Bild der Jungfrau festhalten, das tatsächlich beide Theologen verwenden. Das ist aber nicht das entscheidende. Es kommt auf den Moment des Gehorsams an. Das betonen sowohl Irenäus als auch Luther. 

  • Auch Martin Luther sah in Marias Haltung den entscheidenden Kontrast zum Sündenfall. In seiner Auslegung des Magnificat (Marias Lobgesang) betont er ihren Gehorsam und ihre Demut als "Magd des Herrn" im scharfen Gegensatz zum Hochmut des Menschen im Paradies. Die Vertreibung geschah durch Eigenmacht, die Erlösung beginnt durch Hingabe.
Warum der Gehorsam oder auch die Demut so wichtig sind und einen Neuanfang ermöglichen, wird im nächsten Abschnitt deutlich,. 

Der Sündenfall als menschliche Disposition

Traditionell wird der Sündenfall oft als ein moralisches Vergehen betrachtet, für das wir kollektiv bestraft werden. Diese moralische Perspektive verfehlt die eigentliche, existenzielle Tiefe des Textes.

Die zentrale Versuchung in Genesis 3 ist nicht der Apfel, sondern die Verheißung: "Ihr werdet sein wie Gott."

Der Sündenfall ist daher besser als eine menschliche Disposition zu verstehen: der Drang, das Leben vollständig in die eigene Hand nehmen zu wollen, das Dasein selbst zu kontrollieren und sich an die Stelle Gottes zu setzen.

Die Verantwortung Adams und unsere Gegenwart

Es ist wichtig zu sehen, dass in dieser Urszene nicht nur Eva der Versuchung erliegt. Adam erhält die Frucht von Eva und greift ohne Zögern zu. Er handelt mit gleicher Verantwortungslosigkeit, erliegt dem Hochmut genauso. Fast könnte man im Bild des biblischen Mythos sagen: Während Eva von der Schlange noch überzeugt werden musste, greift Adam bedenkenlos zu.

Was dabei herauskommt, sehen wir in der Gegenwart:

  • Chaos: Der Versuch, perfekt und allwissend zu sein (der moderne Drang zur Selbstoptimierung), führt zu Burnout und Entfremdung.
  • Schuldzuweisung: Nach der Tat verschieben Adam und Eva die Schuld. Adam schiebt sie auf Eva und in letzter Konsequenz auf Gott selbst: "Die Frau, die Du mir gegeben hast..." (Gen 3,12). Dieses Muster ist bis heute aktuell. Die Frage "Warum macht Gott... / warum macht Gott nicht...?" ist oft ein Versuch, die Verantwortung für das eigene Handeln auf das Göttliche oder Schicksal abzuschieben.
  • Entfremdung: Die Vertreibung ist der Verlust des Urvertrauens, das Zerbrechen der ursprünglichen Harmonie mit Gott, dem Nächsten und uns selbst.

Wir sind die Kinder, die aus dem Paradies vertrieben wurden und nun in "Dornen und Disteln" (Gen 3,18) mühsam ackern.

Weihnachten: Das Angebot zur Versöhnung

Genau in diese mühsame Welt kommt Gott in der Krippe. Weihnachten ist nicht die Anklage des Menschen, sondern die unverhoffte Initiative Gottes zur Wiederherstellung der Beziehung.

Der Liedvers aus "Lobt Gott, ihr Christen alle gleich" bringt die Botschaft auf den Punkt:

"Heut schließt er wie auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn."

Die Tür, die der Mensch in seinem Hochmut zugeschlagen hat, wird von Gott in seiner Demut wieder geöffnet. Gott kommt in die Gestalt eines wehrlosen Kindes und heilt so den tödlichen Hochmut, der im Paradies begann.

Das ist die Botschaft der Versöhnung. Sie ist so wichtig, dass Paulus sie in die Osterzeit weiterträgt, aber ihr Ursprung liegt in der Menschwerdung. Daher gilt der Appell immer, auch an Weihnachten:

"So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott." (2. Kor 5,20)

Aufeinander Acht haben wie bei einem Kind

Diese göttliche Versöhnung hat eine ganz konkrete Konsequenz für unser Handeln. Wie können wir das Chaos und die Entfremdung der Welt heute heilen? Indem wir lernen, so miteinander umzugehen, wie es uns in der Krippe vorgelebt wird:

Ein kleines Kind braucht Schutz, Achtsamkeit und bedingungslose Liebe. Es lädt uns ein, unsere eigenen Verteidigungsmechanismen und unseren Hochmut abzulegen.

An dieser Stelle ist auch Josef ein wichtiges Vorbild. Obwohl er im Rahmen der biblischen Erzählungen den ganzen übernatürlichen Zusammenhang nicht verstehen konnte, traf er die verantwortungsvolle Entscheidung, treu zu Maria und dem neugeborenen Kind zu stehen (Matthäus 1). Er steht für die menschliche Haltung des Gehorsams im Kleinen – die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, statt die Schuld abzuwälzen.

Weihnachten erinnert uns daran: Werdet wieder wie die Kinder. Indem wir lernen, aufeinander Acht zu haben, die Verletzlichkeit des Nächsten und unsere eigene anzuerkennen, finden wir den Weg zurück aus der selbst verschuldeten Vertreibung.

Die Geburt Jesu ist die Zusage Gottes, dass die Wiederherstellung der vertrauensvollen Verhältnisses möglich ist - wenn wir uns denn darauf einlassen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen