Sonntag, 14. Dezember 2025

Der Friedenskönig im Schatten der Panzer

Adventsbotschaft und Weltlage

Wenn wir am 1. Advent hören “Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel …”, dann steht dieses Bild des Friedens und der Demut im schärfsten Kontrast zur heutigen Realität:

  • Russland greift mit steigender Aggressivität die Ukraine an.

  • Die Sorgen vor einem Krieg zwischen China und Taiwan verdichten sich.

  • Die Attacken Amerikas auf Venezuela nehmen zu. 

  • Viele Staaten rüsten massiv auf.

Unter diesem Eindruck stellt sich die unausweichliche Frage: Was sagt uns das Königtum Jesu im Angesicht der Notwendigkeit militärischer Verteidigung? Das Ideal des Friedenskönigs, der den Völkern Frieden gebietet (Sach 9,10), erscheint angesichts von Aggression und Angriffskriegen, Propaganda, Fake News und Desinformation wie eine Illusion. 

I. Die Notwendigkeit der Abgrenzung: Schalom ist kein naiver Pazifismus

Der Kern des Missverständnisses liegt oft darin, dass "Friede" als passiver Zustand interpretiert wird. Biblischer Friede – Schalom – ist jedoch ein umfassender Zustand des Gottvertrauens, des Wohlergehens, der Gerechtigkeit, der Unversehrtheit und der richtigen Beziehungen - untereinander und eben auch und gerade zu Gott.

Der Friedenskönig gebietet nicht mit einem Befehl den Frieden; er ist der Maßstab, der uns zwingt, jede Gewaltanwendung als Versagen und letzte Notlösung zu sehen, die stets auf das Ziel der universellen Versöhnung ausgerichtet sein muss.

Der Friede Jesu ist ein Zustand der Gerechtigkeit: Der Friedenskönig Jesus ist zuerst ein Gerechter, wie Sacharja 9,9 betont. Ein Friede, der auf Unterdrückung, Unrecht oder der Verletzung von Souveränität basiert, ist kein Schalom.

Aktive Friedensarbeit: Jesus fordert nicht, die Augen vor Gewalt zu verschließen, sondern gegen die Ursachen von Gewalt anzugehen. Die Krönung Salomos stand für Pracht und materielle Macht. Dagegen steht die Krönung Jesu unter dem Zeichen der Gottesherrschaft: “Das Himmelreich ist nah herbeigekommen …” (etwa Mk 1,15) Und diese Inthronisation steht für die Priorität der Gerechtigkeit über die Herrschaft.

Für uns heute bedeutet das: Friedenskönigtum äußert sich im aktiven Bekennen unseres christlichen Glaubens und dann im Eintreten für die Schwachen, im Kampf gegen Korruption und im Aufbau internationaler Rechtsstrukturen. Die aktive Verteidigung der Schwachen oder der Unversehrtheit des Rechts auch mit Waffen kann in einer gefallenen Welt ein schmerzhafter Akt sein, der paradoxerweise dem Ziel des Friedens dient.

Angst ist kein guter Ratgeber: Schon beim Einzug in Jerusalem sahen die Pharisäer das Problem (Lk 19,39). Die Inszenierung Jesu als König gefährdete den fragilen, von Rom garantierten Frieden. Der göttliche Anspruch kollidierte mit der brutalen Realpolitik. Dieses Dilemma – das Ideal gegen die Realität – ist bis heute gültig. Aber es kann nicht sein, dass deswegen der Ungerechtigkeit und der Gewalt Tor und Tür geöffnet werden.

II. Die Spannung zwischen Ideal und Realität

Die EKD hat in einer bemerkenswerten Bewegung ihr Konzept vom tendenziell absoluten Pazifismus hin zu einem Konzept des "Gerechten Friedens" verändert. Damit wird keineswegs das frühere Verständnis eines 'gerechten Krieges' wiederbelebt. Es gibt allerdings eine Akzentverschiebung hin zu der Einsicht, dass Gerechtigkeit und Freiheit - auch die des Glaubens - unter Umständen auch mit Mitteln verteidigt werden müssen, die aus Glaubensgründen eigentlich abzulehnen sind.

Realistischer Gehorsam: Die EKD erkennt an, dass militärische Gewalt in einer „Welt in Unordnung“ (Titel der neuen Denkschrift) das äußerste Mittel sein kann, um Menschen und territoriale Integrität zu schützen. Dieser Realismus ist keine Abkehr von Jesus, sondern ein schmerzhaftes Dilemma angesichts der sündhaften Realität der Welt.

Friedenskönigtum als ethische Messlatte: Der Anspruch Jesu wird in diesem Kontext zur Messlatte. Er ist der unantastbare Idealzustand (Sach 9,10), den wir anstreben müssen. Jede militärische Handlung, jede Waffenlieferung, jede Aufrüstung muss sich daran messen lassen, ob sie letztlich dem Ziel des Friedens für die Völker dient und nicht der Eskalation oder der Machtprojektion. Der Friedenskönig ist somit nicht die Lösung in diesem Moment, sondern das Kriterium für unsere Entscheidungen.

III. Das Maultier als ethische Messlatte: Die Logik der Macht entlarven

Die eigentliche Kraft des Friedenskönigs liegt in seiner Absage an die Logik der weltlichen Macht. Jesus wählt das Maultier (Demut) und nicht das Schlachtross (Krieg). In einer Zeit, in der die Staaten wieder stark in Waffen investieren und auch die Evangelische Kirche die Notwendigkeit militärischer Verteidigungsfähigkeit anerkennt, wird der Friedenskönig zur ethischen Messlatte. Die Botschaft Jesu entbindet uns nicht von der Verantwortung für Schutz und Sicherheit, aber sie stellt das Handeln unter ein strenges Kriterium.

Priorität der Prävention: Wenn wir aufrüsten müssen, weil wir im Krieg die letzte Notlösung sehen, wie viel mehr müssen wir dann in Diplomatie, zivile Konfliktlösung und Entwicklungshilfe investieren! Es ist fatal, dass die westlichen Staaten aktuell ihre Entwicklungshilfen radikal kürzen. Der Friedenskönig fragt: Setzen wir unsere Hoffnungen zuerst auf Entwicklung - auch und gerade bei den benachteiligten Menschen -, auf Verhandlungen und Gerechtigkeit, oder zuerst auf Waffen und Ausbeutung und Gewinn?

Entlarvung der Aggression: Das Friedenskönigtum verurteilt entschieden jede Form der Aggression oder des Machtmissbrauchs, bei dem militärische Gewalt zur Verfolgung egoistischer nationaler oder wirtschaftlicher Interessen dient (etwa die Drohung mit einer Invasion, um sich Bodenschätze zu sichern). Ein Angriff auf andere Länder zur Machtabsicherung ist das genaue Gegenteil des Friedenskönigtums.

VI. Der Anspruch des Advents: Der radikale Aufruf zur Prioritätenverschiebung

Die Geburt des Friedenskönigs zu Weihnachten ist die Konsequenz des Einzugs an diesem 1. Advent. Die Botschaft ist:

Wahre Sicherheit und dauerhafter Schalom werden niemals durch militärische Überlegenheit oder das Festhalten an alter Machtlogik (dem "Königtum Salomos") erreicht.

Die Ankunft Jesu ist ein radikaler Auftrag zur Prioritätenverschiebung. Wir werden ständig herausgefordert, uns neu zu entscheiden:

  • Wollen wir einen König, der uns gegen unsere Feinde beschützt?

  • Oder wollen wir einen König, der uns auffordert, mit unseren Feinden den Weg zur Gerechtigkeit und zum Frieden zu suchen?

Der Advent ist somit keine Vertröstung auf bessere Zeiten, sondern eine Aufforderung, schon heute dort Schalom zu leben und zu fordern, wo wir ihn am dringendsten brauchen. Inmitten der Debatten über Aufrüstung ist die Erinnerung an den König auf dem Esel unsere wichtigste spirituelle Waffe.


Okay, wenn ich bei diesem Gedanken - Spiritualität, Bekenntnis, Theologie und vieles mehr - die EKD vor Augen habe, sehe ich schon das nächste Problem. Aber das will ich an dieser Stelle (noch) nicht weiter ausführen. 


Montag, 1. Dezember 2025

Der 1. Advent – Ankunft eines Königs, der anders reitet

Der Erste Advent feiert den Beginn der Erwartung. Unsere Lieder sind gefüllt mit der Sehnsucht nach einem Licht in der Dunkelheit und der Ankunft des Herrn. Die Liturgie lenkt unseren Blick an diesem Sonntag allerdings nicht auf die Krippe, sondern auf eine andere, viel dramatischere Szene: den Einzug Jesu in Jerusalem.

Warum lesen wir am 1. Advent die Geschichte von Palmsonntag? Weil dieser Einzug wie ein Manifest ist. Er zeigt uns, welcher König kommt und mit welcher Absicht.

I. Der Anspruch auf den Thron Davids: Eine bewusste Inszenierung


Die biblischen Berichte

Die Szene aus Matthäus 21, 1–11 ist mehr als eine spontane Demonstration. Sie ist eine sorgfältige Inszenierung, die tief in der israelitischen Geschichte verwurzelt ist. 

Als Jesus Jerusalem erreicht, reitet er auf einem Esel in das Zentrum der Macht. 

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): 5 „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.” 6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? 11 Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa. (Matthäus 21, 1-11)

Diese Geschichte ist den meisten wohlvertraut. Und dass diese Geschichte ihre Deutung aus dem Wort des Propheten Sacharja 9,9 zieht, das haben Sie beim Lesen Textes auch erkannt.

Die wenigsten aber werden wissen, dass es schon einmal solch einen triumphalen Einzug in Jerusalem gegeben hat. Dieses Ereignis liegt etwa 1000 Jahre zurück. Es ist die Zeit von König David und König Salomo, also ungefähr die Zeit um 960 vor Christus. David spürt, dass sich sein Leben dem Ende entgegenneigt und er will die Thronfolge regeln. Da setzt die alte Geschichte ein: 

König David sprach: Ruft mir den Priester Zadok und den Propheten Nathan und Benaja, den Sohn Jojadas! Und als sie hineinkamen vor den König, 33 sprach der König zu ihnen: Nehmt mit euch die Großen eures Herrn und setzt meinen Sohn Salomo auf mein Maultier und führt ihn hinab zum Gihon. 34 Und der Priester Zadok samt dem Propheten Nathan salbe ihn dort zum König über Israel. Und blast die Posaunen und ruft: Es lebe der König Salomo! 35 Und zieht wieder hinauf hinter ihm her, und er soll kommen und sitzen auf meinem Thron und für mich König sein. Denn ihn setze ich zum Fürsten über Israel und Juda ein. (1. Könige 1,32-35)

Damit sie sich die Szenerie etwas besser vorstellen können, veranschauliche ich die beiden Geschichten mal mit Kartenmaterial. Die Karten stammen aus Wikimedia, die eingefügten Beschriftungen von mir. Dazu kommen zwei Fotos vom „Holyland Model of Jerusalem“, ebenfalls gefunden auf wikimedia und zwei Zeichnungen aus dem großen Fundus des Amerikaners Jim Padgett, der mit seinen ca. 3.000 Bildern fast die ganze Bibel illustrierte.

linke Karte
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MACCOUN(1899)_p097_JERUSALEM_-_TIME_OF_DAVID_AND_SOLOMON.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5f/MACCOUN%281899%29_p097_JERUSALEM_-_TIME_OF_DAVID_AND_SOLOMON.jpg
Für den Autor, siehe / Public domain
rechte Karte
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MACCOUN(1899)_p191_JERUSALEM_-_TIME_OF_AGRIPPA.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2c/MACCOUN%281899%29_p191_JERUSALEM_-_TIME_OF_AGRIPPA.jpg
Für den Autor, siehe / Public domain

Bild auf der linken Seite - Davidstadt: 
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Holyland_Model_of_Jerusalem?uselang=de
Bild auf der rechten Seite - Salbung Salomos
https://www.unfoldingword.org/sweet-publishing - 1. Könige

wie auf dem Bild zuvor - oberhalb der Davidstadt der Herodianische Tempel

Ich habe die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem vor 5 Jahren am Palmsonntag 2020 sehr ausführlich beschrieben. Der Beitrag kann mit diesem Link aufgerufen werden. Während der Beitrag 2020 die biblischen Berichte in das Geschehen der Karwoche einordnete, geht es mit diesem Blogbeitrag am Anfang eines neuen Kirchenjahres in erster Linie um das Vorzeichen, das durch diese bewusste liturgische Entscheidung im Grunde genommen über die ganze christliche Verkündigung gesetzt wird.

Davids Sohn

Die Menge, die Jesus jubelnd empfängt und vor ihm ihre Kleider und Palmzweige ausbreitet, tut genau das, was die Bevölkerung Israels bei der Inthronisation Salomos tat: Sie vollzieht einen königlichen Rechtsakt.

Das Reittier: In der Geschichte aus dem Ersten Testament war das persönliche Maultier des Königs das Gefährt der Legitimation. Wer darauf ritt, beanspruchte den Thron Davids.

Der Jubel: Die Rufe, mit denen die Menge Jesus begrüße – "Hosanna dem Sohn Davids!" – waren ein klarer politischer Slogan. Sie erwarteten die Wiederherstellung der alten, glorreichen Macht.

Da Jesus dem ganzen Treiben nicht widerspricht, bekennt er: Ich bin der legitime Nachfolger Davids. Ich bin der König.

II. Die Korrektur: Die Verheißung des Friedenskönigs

Hätte Jesus es bei dieser Botschaft belassen, wäre er sofort als politischer Revolutionär von den Römern verhaftet worden. Doch die eigentliche theologische Pointe liegt im zweiten Schriftwort, das diese Szene erklärt: der Prophet Sacharja (Sach 9, 9–10).

Der Einzug ist ein königlicher Anspruch, aber er ist bewusst kontrastiert durch die Art der Ankunft:

"Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitend auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin." (Sach 9,9)

Jesus reitet nicht in der Stärke, sondern in der Demut. Er bricht die politische Erwartung der Salomo-Geschichte zugunsten der prophetischen Ankündigung:

Die Erwartung (Salomo-Typus): Ein König, der die Feinde besiegt und Reichtum bringt.

Die Intention Jesu (Sacharja-Typus): Ein König, der durch Demut Frieden stiftet.

Und das ist der entscheidende, adventsrelevante Punkt, den uns Matthäus ans Herz legt – der Friede gilt universal (Vers 10):

"Und er wird die Streitwagen aus Efraim vernichten und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen wird zerbrochen werden. Denn er wird den Völkern Frieden gebieten." (Sach 9,10)

Die wahre Intention Jesu ist somit nicht die Errichtung eines irdischen Nationalreiches, sondern das Reich Gottes – ein Reich, das nicht durch militärische Macht, sondern durch Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und universalem Frieden bestimmt wird.

III. Adventliche Ankunft und die wahre Botschaft von Weihnachten

Was sagt uns der Einzug in Jerusalem am 1. Advent über die Geburt in Bethlehem?

Der Einzug definiert das Königtum Jesu im Kontrast zur weltlichen Macht. Jesus kommt als König – aber als ein König, der die Gewalt und den Krieg ablehnt.

Die Ankunft Jesu ist die Ankunft des Friedenskönigs.

Diese Intention findet ihre Erfüllung in der Weihnachtsgeschichte. Derjenige, der am Ende seines Lebens auf einem Esel in die Stadt reitet, um das Friedensreich Gottes zu proklamieren, beginnt sein Leben nicht in einem Palast (wie Salomo), sondern:

  • in einem Stall (Demut).
  • umgeben von Hirten und Weisen, die nach der biblischen Geschichte einen langen Weg auf sich nahmen (Universalität - für die ganze Welt).
  • begleitet vom Gesang der Engel: "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."

Der Einzug ist die königliche Bestätigung, die die Krippe erst verständlich macht. Am 1. Advent erinnern wir uns: Wir erwarten einen König, aber wir erwarten den Friedenskönig.

Er ist nicht gekommen, um einen Thron zu besteigen, sondern um die Menschheit mit Gott zu versöhnen.